Institutsgeschichte

100 Jahre Luftfahrttechnik an der Universität Stuttgart von Heiner Dörner

Die Historie des Instituts für Flugzeugbau geht zurück auf Professor Alexander Baumann, der am 20. Oktober 1911 vom König von Württemberg eine im Staatsetat verankerte ordentliche Professur für „ Luftschifffahrt, Flugtechnik und Kraftfahrzeuge“ erhielt. Auch interessierte Kreise der Wirtschaft (u.a. Bosch) trugen mit 50 000 Goldmark teilweise zu dieser Professur bei. Diese akademischen Ereignisse, gerade 7 Jahre nach dem ersten Motorflug, waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirklich etwas Einzigartiges an einer Hochschule. In Stuttgart war damit die Lehre und Forschung auf dem Gebiet der Luftfahrttechnik eröffnet.

Durch die Berufung auf den genannten Lehrstuhl gilt Professor Alexander Baumann weltweit als der erste Luftfahrttechnik-Professor. Das heutige Institut für Flugzeugbau (IFB) gilt als der direkte „Nachkomme“ des Baumannschen Lehrstuhls für „ Luftschifffahrt, Flugtechnik und Kraftfahrzeuge“. Baumann gilt als Vater der ersten Riesenflugzeuge.Bei einem historischen Treffen am 1. September 1914 im Hause von Direktor Klein der Robert-Bosch-Werke in Stuttgart trafen sich die Herren Graf Zeppelin, Robert Bosch, Albert Hirth, Ernst Heinkel, Alexander Baumann auf Einladung von Direktor Klein.

Dort wurde die Idee eines Großflugzeuges geboren das zunächst als ziviles Einsatzziel den Flug zur Weltausstellung 1915 nach San Francisco hatte. Als Chefkonstrukteur wurde Alexander Baumann gewonnen. Der geplante Einsatz wurde nach Ausbruch des 1. Weltkrieges sofort in eine militärische Mission umgewandelt. Die Aufgabe lautete nun eine 1 Tonnen-Bombe als ‚Nutzlast’ in das Hafenbecken von London zu werfen. Die Dimensionen des Flugzeuges waren für die damalige Zeit enorm: Spannweite 42,2 m, Länge 24 m, Leitwerkshöhe 6 m. Am 11. April 1915 war ‚rollout’ und Erstflug. Insgesamt wurden 48 Riesen-Flugzeuge gebaut, wobei sich jedes vom Vorhergehenden besonders in der Motorisierung unterschied. Eine Maschine mit der Bezeichnung R VIII hatte eine Antriebsleistung von 2080 PS aus 8 Mercedes D IV-a Motoren, eine andere, die R XIV erreichte mit bis zu 10 Mann Besatzung eine Flugdauer von 10 Stunden, wobei das Abfluggewicht 14,4 Tonnen betrug, bei einer Bombenlast von 2000 kg.

Zwei Besonderheiten müssen noch erwähnt werden. Baumann gilt als erster Flugzeug-Konstrukteur der Welt der den heute noch modernen Begriff des Systemleichtbaus propagierte. Allein durch die Anordnung seiner Motoren (Triebwerke) zwischen den Decks des Doppeldeckers konnte er die Tragflächen durch Entlastungseffekte (Reduzierung des Biegemomentes) um 4 % leichter bauen, gegenüber der Unterbringung der Triebwerke im Rumpf, wie bei ähnlichen Konkurrenz-Flugzeugen zu seinen Riesenflugzeugen. Die Reduzierung an und das Feilschen um jedes Kilogramm Strukturmasse in der Luftfahrttechnik war geboren, und das oft alleine durch das sinnvolle Platzieren von Systemen.

Zum Zweiten gilt Baumann als Erfinder und Anwender der Stauluft-Turbine der heute bekannten „ram air turbine, RAT“. Heute besitzt jedes Passagierflugzeug eine solche mechanisch-manuell ausfahrbare Notturbine die aus dem Fahrtwind Energie entnimmt um diese in elektrische oder hydraulische Energie umzuwandeln, und um damit den Weiterbetrieb von Bordsystemen bei deren Ausfall sicherzustellen. Die Baumannsche ‚RAT’ unterstützte als hydraulische Pumpe schon ab 1915 die Treibstoffversorgung seiner Riesenflugzeuge.

Dass Baumann ein zweibändiges Lehrbuch: „Mechanische Grundlagen des Flugzeugbaues“ schon 1913 verfasste, das bis in die 20-er Jahre des letzten Jahrhunderts als Standardwerk benutzt wurde und, dass Baumann als eine Art Technologietransfer nach Ende des 1. Weltkrieges, den Japanern den Flugzeugbau nahebrachte, soll nur am Rande erwähnt werden.Erst im Herbst 1927 kam Baumann aus Japan zurück um in Stuttgart wieder seine Lehrtätigkeit aufzunehmen. Hier starb er am 23. März 1928.

Georg Madelung wurde als sein Nachfolger berufen. Madelung hatte sich schon mit seinem Segelflugzeug „Vampyr“ im Jahr 1921 einen Namen gemacht, wirkte in Amerika bei der Glenn L. Martin Company an der Entwicklung u. a. von Flugbooten mit, bis er 1926 an die TU Berlin auf den Lehrstuhl für Luftfahrtwesen berufen wurde. Nach 1928 folgte er dann einem Ruf nach Stuttgart.

Es erging ihm in den nächsten Jahren ähnlich wie seinem Vorgänger Baumann. Madelung wollte eigentlich den Baumannschen Gedanken des zivilen Transatlantikfluges mit großen Flugzeugen weiter verfolgen. Die zivile Ausrichtung des Lehrstuhls änderte sich aus politischen Gründen jedoch sehr schnell in eine militärische Richtung. Der Lehrstuhl wurde umbenannt in Flugtechnisches Institut Stuttgart (FIST) und es kam zusätzlich eine reine militärische Forschungseinrichtung in Ruit auf den Fildern hinzu, die Forschungsanstalt Graf Zeppelin (FGZ). Madelung wurde ebenso Direktor dieser Institution.

 

Am FGZ wirkte auch Prof Hütter als Chefkonstrukteur mit, nachdem er aus der Ingenieurschule Weimar, wo er als Dozent für luftfahrttechnische Vorlesungen wirkte, dorthin abkommandiert wurde. Unter seinem Chef Madelung arbeitete Hütter an verschiedenen Projekten. Am FGZ wurde z.B. eine Schleuder für den Kurzstart von Flugzeugen per Seilzug von kurzen Flugplätzen entwickelt sowie unter Mitarbeit der Ingenieure Knacke und Keller der berühmte Stuttgarter Bänderfallschirm. Aus 50mm breiten seidenen Hutbändern wurde für den Pilotenaustieg bei hohen Geschwindigkeiten (z.B. der Me 262) ein „durchlässiger“ Fallschirm hergestellt und erprobt.

Knacke brachte sein Wissen und die Erfahrung mit dem Bänderfallschirm nach Kriegsende in die amerikanische Weltraumforschung ein und konstruierte dort die Berge-Fallschirme für die Wasserung der Apollo-Kapseln bei der Rückkehr aus dem Orbit. Ohne Stuttgarter Bänderfallschirme hätte es keine sichere Rückkehr der Mond-Astronauten nach der ersten Mondlandung von Apollo 11 gegeben.

Noch 1944 erhielt Hütter am Stuttgarter FIST einen Lehrauftrag für Strömungslehre und Flugmechanik. Er sollte dann nach Ende des 2. Weltkrieges Madelungs Nachfolger an der Technischen Hochschule Stuttgart werden, also der 3. Professor seit 1910 am wieder neu etablierten Institut für Flugzeugbau im Jahr 1959. Allerdings war rund 6 Monate lang nach Kriegsende der Flugzeugkonstrukteur Heinrich Focke als ‚provisorischer’ Institutsleiter tätig. Den Ruf an den Lehrstuhl lehnte er allerdings ab um in Brasilien einen zweisitzigen Leichthubschrauber zu entwickeln.

Nach Ende des 2. Weltkrieges bestand nicht nur an der TH Stuttgart eine Zwangspause für die Luftfahrttechnik, sondern der ganze deutsche Flugzeugbau litt unter dem Diktat der Siegermächte. Bis 1955 war der Flugzeugbau generell verboten. Doch schon ab Wintersemester 1954/55 findet man an der TH Stuttgart ein reichhaltiges Angebot luftfahrtspezifischer Vorlesungen, noch innerhalb der Fakultät Maschinenwesen. 1956/57 erfolgt die Wiedergründung der Abteilung Luftfahrttechnik in dieser Fakultät.

Eine der Persönlichkeiten der ersten Stunden nach dem 2. Weltkrieg war Ulrich Hütter. Sein 1944 erteilter Lehrauftrag wurde bereits im Wintersemester 1952/53 erneuert. 1959 wurde er zum außerordentlichen Professor und 1965 zum ordentlichen Professor und Lehrstuhlinhaber des Instituts für Flugzeugbau berufen. Hütter war in Segelfliegerkreisen zusammen mit seinem Bruder Wolfgang schon Anfang der 30er Jahre durch seine revolutionären Segelflugzeuge H17 und H28 bekannt geworden. Er hatte 1938 in Stuttgart das Diplom in Luftfahrttechnik abgelegt und wurde im Oktober 1939 zunächst Dozent an der Ingenieurschule in Weimar für luftfahrttechnische Fächer. An gleicher Stelle schuf er die Grundlagen für die heute modernen Windenergieanlagen. Seine Dissertation: „Beitrag zur Schaffung von Gestaltungsgrundlagen für die Windkraftwerke“ beinhaltet eine noch heute gültige und leicht anwendbare Theorie der „Freifahrenden Turbinen“, physikalisch die richtige Bezeichnung für solche, den Wind nutzenden Anlagen.

Hütter gilt heute als ein historisch weitsichtiger Windenergie-Protagonist und eine zentrale Persönlichkeit für die umweltfreundliche Nutzung der Windenergie. Er schied 1980 aus den Diensten der Universität aus und starb im Jahr 1990. Dass die Windenergie einmal zu den aussichtsreichsten regenerativen Energien werden sollte, hat er somit nicht mehr erlebt.

Hütter gilt auch als ein Pionier der Faserverbund-Technologie im Flugzeugbau und generell im Leichtbau. Das Glasfaser-Rotorblatt seiner 100 kW Windanlage von 1957 steht heute vor dem Luftfahrtgebäude L3 am Pfaffenwaldring 31.

 

Ulrich Hütter wurde 1980 von Franz-Joseph Arendts abgelöst, der dann bis zum Jahr 2000 das IFB leitete. Der Mann aus der Industrie, der eng mit dem TORNADO-Projekt von MBB verbunden war, führte die Tradition der Faserverbund-Technologie in der Forschung weiter. Arendts gestaltete die Lehre nicht nur konsequent modern um, er beeindruckte auch mit seinem enorm tiefen Wissen über alle relevanten Flugzeugbau-Fachgebiete.

1994 wurde am IFB eine Professur für den Flugzeugentwurf eingerichtet. Berufen wurde Rudolf Voit-Nitschmann, ebenso ein Mann aus der Industrie. Er war Mitentwickler des 2-sitzigen Sportflugzeuges „Speed Canard“, einem Flugzeug in Entenbauweise und später in leitender Stellung bei der Grob-Aerospace GmbH und zuletzt bei der Dornier GmbH als Hauptabteilungsleiter Entwicklung und Technologie tätig. Voit-Nitschmann etablierte innerhalb der Abteilung Flugzeugentwurf die neuen Forschungsgebiete und Arbeitsgruppen, Analytischer Flugzeugentwurf, Elektroflugzeuge und Unbemannte Fluggeräte. Er zeichnete verantwortlich für zwei herausragende institutsübergreifende Fakultäts-Projekte. Das manntragende, eigenstartfähige Solarflugzeug icaré und das zweisitzige Elektroflugzeug e-Genius. icaré gewann 1996 den Ulmer Berblinger-Preis. Mit e-Genius konnte 2011 der Lindbergh Electric Aircraft Price, der 2. Platz beim Greeen Flight Challenge der NASA und 2013 der Green Speed Cup in Berlin gewonnen werden. Von 2010 -2012 war Prof. Voit-Nitschmann geschäftsführender Direktor des Instituts.

Klaus Drechsler, ein Hütter-Schüler, löste im Jahr 2000, also bei der Jahrtausendwende, Franz-Joseph Arendts ab, als nun 5. Professor in der Stammbaum-Reihe seit 1910. Drechsler wurde wie seine Vorgänger Direktor des Instituts für Flugzeugbau und Inhaber des Lehrstuhls für Flugzeugbau an der Universität Stuttgart. Er intensivierte die Forschung am IFB auf dem Faserverbund-Sektor enorm, was mit einer Steigerung der Mitarbeiterzahl verbunden war. Große Fortschritte beim Kleben, Legen, Wickeln, Nähen, Wirken, Weben, Stricken von Faserverbund-Bauteilen in Glasfasern und Kohlefasern für die Luftfahrt, die Automobilindustrie und den allgemeinen Fahrzeugbau sind sein großer Verdienst in den fast 10 Jahren seiner Tätigkeit am IFB.

Klaus Drechsler hat 2010 einen Ruf als Ordinarius des Lehrstuhls für „Carbon Composites“ an der TU München und als Leiter der Fraunhofer-Projektgruppe „Funktionsintegrierter Leichtbau“ in Augsburg angenommen.

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